Schneckenhäuser und Galaxien sind Lichtjahre voneinander entfernt - und trotzdem haben sie etwas gemeinsam: ihre Spiralform. Das ist kein Zufall, beide sind nach demselben Prinzip aufgebaut. Außer der identischen Formsprache verbindet noch etwas das irdische und das himmlische Gebilde: Sie wirken auf uns Menschen schön.
In Philip Balls Bildband "Designed by Nature" steht der Schutzpanzer der Schnecken exemplarisch für die Gestaltungsprinzipien, die lange vor den Menschen entstanden sind und ihnen bis heute als Vorlage für eigene Erzeugnisse dienen: In manchen bretonischen Höhlen sind prähistorische Felszeichnungen von Wirbeln erhalten. Aus dem Barock findet man Spiralen als sogenannte Voluten wieder, schneckenförmige Verzierungen an Häusern. Und in Gustav Klimts Gemälde "Lebensbaum" füllen ihre Umrisse als schnörkelige Äste und Zweige den Raum aus.
Sternbilder, zerklüftete Felsformationen, exotische Tiere oder kleinste Zellkulturen: Anhand von mehr als 300 Abbildungen zeigt Ball eine Farb- und Formenvielfalt, von der sich auch die Modewelt so einiges abgeschaut hat. Und sei es nur für die geblümte Wohnzimmertapete, Stiefel im Leopardenlook, Pullover mit Sternenmuster oder Jacken mit Federbesatz.
Perfektes Zusammenspiel von Chemie und Physik
Mithilfe von Schwerkraft, Algorithmen und Krümmungsverteilungen erklärt Ball, warum die Natur der beste Designer ist, wie aus Mengen von Zellen filigrane Farnblätter wachsen. Ball, von Haus aus Chemiker und promovierter Physiker, glaubt an ein perfektes Zusammenspiel der Gesetze von Chemie und Physik.
Dass das Königsblau im Gefieder von Pfauen ein Resultat chemischer Reaktionen ist und die Kristalle von Eisblumen sich durch temperaturbedingte Atomverteilungen im Wasser bilden, ist keine neue Erkenntnis. Balls These geht aber weiter: Regeln, die wir aus Physik und Chemie kennen, machen die Natur zum perfekten Designer. Sie sorgen dafür, dass alle natürlichen Objekte nicht nur praktisch, sondern auch schön sind.
Für das Design eines Schneckenhauses kennt die Wissenschaft eine eigene Formel: Es ist die einer logarithmischen Spirale. Egal ob Weinbergschnecke oder Meeresschneckenarten, nach dieser Gesetzmäßigkeit bauen sie ihr Schutzgehäuse aus Kalk. Warum sich die Schale fast immer rechtsherum windet, bleibt allerdings nach wie vor ein Rätsel. Doch man muss nicht alles verstehen, um die Schönheit und Perfektion einer Nautilus zu erkennen.
Ob groß, ob klein - das gleiche Design
Ähnliche Formen tauchen in der Natur immer wieder auf, oft an Orten, die scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben: Als Spiralen wachsen Blütenblätter zu Rosen heran und Luftströme zu Hurrikans. Bis ins Detail zeichnen die Fotos die Adern nach, die sich durch Pflanzenblätter wie Arterien und Kapillaren eines Blutkreislaufes ziehen. Ähnlich verfeinern sich in der Luftaufnahme reißende Flüsse zu immer dünneren Bächen und Rinnsalen - oder auch Blitze zu schmaleren Zacken.
Genau wie der schottische Zoologe D'Arcy Wentworth Thompson, der 1917 sein Meisterwerk "Über Wachstum und Form" veröffentlichte, kombiniert Ball Erkenntnisse aus verschiedenen Naturwissenschaften, um deutlich zu machen: "Regelmäßigkeit und Ordnung ziehen sich durchs ganze Reich der Natur, sei es belebt oder unbelebt."
Blumenkohlröschen stellt Ball neben Schäfchenwolken, Fischschwärme neben Sanddünen. "Patterns" (Muster) heißt der Bildband deshalb treffenderweise im englischen Original. In acht Kapiteln auf 280 Seiten erläutert Balls die Formsprache der Natur und die ihr zugrunde liegende mathematische Ordnung. Eindrucksvoll schildert er, wie es der Natur gelingt, aus einer begrenzten Palette an Mustern eine Vielzahl von Erscheinungsformen zu erzeugen.
Diese Muster teilen nicht nur eine gemeinsame Ordnung und wiederholen sich in verschiedenen Größenskalen und Systemen, sie sind auch höchst sinnvoll. Die Form eines Blitzes markiert den kleinsten Widerstand und den kürzesten Weg zwischen Himmel und Erde. Das macht ihn energieeffizient. Wie und in welche Richtung Blütenblätter wachsen ist davon abhängig, wie weich ihre Triebe sind und in welchem Winkel sie gegen das umliegende härtere Gewebe stoßen. Das schützt die Blüte vor Missbildungen.
Doch obwohl die Gestalt ganz unromantisch von den Zwängen der physikalischen Kräfte diktiert wird, kommt sie uns schön vor. Schönheit liegt eben doch im Auge des Betrachters.
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